Die Weisheit der Binsen

Im Oberallgäu wuchert in beinahe jedem Garten ein Biotop. Unter Schilf und
Binse verbergen sich jedoch Pflanzenkläranlagen. Ohne Energie und technischen
Aufwand reinigen sie vor allem Abwässer zersiedelter Regionen.

Bericht von Daniela Kaulfus

 
 

 

Hier stinkt's nicht einmal, obwohl die Grünfläche im Garten eine Kläranlage ist. Sie sieht aus wie ein Biotop, doch die sonnengelben Blüten der Schwertlilien und die Blätter von Schilf, Binsen und Blutweiderich wuchern nicht zur optischen Freude des Gärtners. Beim satten Grün vor dem einsamen Bauerhof zwischen sanften Allgäuer Hügeln handelt es sich um eine hauseigene Pflanzenkläranlage. Schon bevor das Landratsamt Druck auf die Kommunen ausgeübt hatte, die Abwasserreinigung zu verbessern, war der Typ „Pflanzenkläranlage“ in der Gemeinde Wildpoldsried bei Kempten „schon lange Stand der Technik“, sagt Bürgermeister Zengerle, als sei dies eine Selbstverständlichkeit.

Das EU-Gesetz, das Kommunen bis 10.000 Einwohnern vorschreibt, „bis 2005 für eine geeignete Behandlung der Abwässer“ zu sorgen, kennt er nicht einmal. Und schüttelt nur den Kopf, als er europäische Großstädte erwähnt, die verschmutztes Wasser immer noch ungeklärt in Flüsse und Meere leiten. Seit das Wasserwirtschaftsamt Pflanzenkläranlagen als geeignete Technik zur Abwasserreinigung eingestuft hat, boomt der Bau der Klär-Biotope im Oberallgäu. Allein 400 sind es schon in der Umgebung von Wildpoldsried. Der tiefschwarze Politiker, wie er sich selbst einstuft und dabei schmunzelt, macht keinen Hehl daraus, dass es ihm neben seiner ehrlich gemeinten grünen Gesinnung auch um die 70 Menschen geht, die der ortsansässige Garten- und Landschaftsplaner unter anderem für den Bau von Pflanzenklär-anlagen beschäftigt.

Politik und Wirtschaft einmal anders, Ökologie ist hier kein Feindbild und widerspricht auch nicht den Finanzen, Wildpoldsried ist eine der wenigen schuldenfreien Kommunen. Nicht umsonst werden die einzelnen Kleinkläranlagen dem unverhältnismäßig teuren zentralen Kanalanschluss vorgezogen. Und natürlich gedeihen auch im Garten der Bürgermeisterfamilie Schilf und Binse, auf einem eigens dafür zugekauften Hektar Grund. Die Fläche scheint allerdings der einzige Nachteil so einer Anlage zu sein, Pflanzenkläranlagen brauchen viel Platz.

Bakterien statt Kanalratten

Das wirklich Wichtige einer Pflanzenkläranlage sind kleinste Lebewesen, die keiner zu Gesicht bekommt. Im dunklen Untergrund, verdeckt vom dichten Blätterwerk der Sumpfpflanzen, erledigen sie die Drecksarbeit. Die Mikroorganismen schlucken Stickstoffe und Phosphate mit dem Wasser hinunter, das die Bewohner zum Waschen, Putzen und Spülen verwenden. Die Heimat der kleinen Lebewesen sind etwa drei LKW voll Kies, das reicht für einen Haushalt. Die Steine liegen in drei Schichten unterschiedlicher Kiesgrößen in einem badewannenartigen Bett, das mit einer UV- und wurzel-beständigen Folie ausgelegt ist. Die Folie ist mit den feinen rundkörnigen Kieselsteinen bedeckt, auf deren enorm großer Gesamtoberfläche die Bakterien haften. Verschiedene Sumpfpflanzen durchwurzeln die bis zu 80 Zentimeter dicke Schicht aus Steinchen und durchdringen mit feinsten Rhizomen die unterste und gleichzeitig kleinkörnigste Kies-Schicht. Die Wurzeln festigen den Kies und belüften die Zwischenräume, damit die Bakterien nicht in Atemnot geraten, wenn ihnen das Abwasser bis zum Hals steht.

Dieser Bodenfilter aus Steinen, Kleinstlebewesen und dem Halt gebenden Wurzelanteil der Sumpfpflanzen ist das Herz der Pflanzenkläranlage. Oder die Niere, denn eine Pflanzenkläranlage filtert bis zu 95 Prozent der organischen Substanzen. Das gereinigte Abwasser fließt dann in den sogenannten Vorfluter, den nächst gelegenen Bach, wovon es im Allgäu genügend gibt. Untersuchungen des Umweltbundesamtes zu Pflanzenkläranlagen lieferten verblüffende Ergebnisse. Das Wasser hatte teilweise sogar Trinkwasserqualität. Bis zu 40 Prozent der Reinigungsleistung ist allerdings schon erledigt, wenn das Wasser beginnt, den kiesigen Bodenfilter entlang zu sickern. Das gebrauchte Wasser rinnt nämlich von Waschbecken, Badewanne und Spülkasten zuerst in einen unterirdischen Betonzylinder, und zwar in die Dreikammergrube.

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