Das Geheimnis des Baikalsees

Der Baikalsee, einst eines der saubersten Süßwasservorkommen der Erde, steht kurz vor dem ökologischen Kollaps. Erinnerungen an Kindheitstage und an eine Reise zur Perle Sibiriens.

Reportage von Renate Markova

 
 

 

(Foto: R. Markova)

Es war der Sommer 1981. Ich war erst vor ein paar Wochen zwölf geworden und zum ersten Mal in meinem jungen Leben saß ich neben meiner Mutter in einem Flugzeug. Die Gurte wurden geschlossen, die Russisch sprechende Stewardess gab noch die letzten Anweisungen an die Reisenden der Linie Riga-Moskau-Irkutsk. Endlich flogen wir. Ich war glücklich. Alles ging für mich in Erfüllung. Schon seit Jahren hatten wir eine Absprache, dass ich nach meinem zwölften Geburtstag, wenn ich in der Schule gute Noten hätte, jedes Jahr eine ferne Reise mit Mutter und ihren Arbeitskollegen machen dürfte. Nach einer Zwischenlandung in Moskau ging es endlich weiter ins 5.000 Kilometer entfernte Sibirien.

Ich hatte damals klare und einfache Vorstellungen von Sibirien: Kälte, Menschen, die wie meine Familie während des Zweiten Weltkrieges dorthin deportiert wurden, und das damit verbundene Elend. Die Transsibirische Eisenbahn, BAM, das Bratskai Wasserkraftwerk, Tundra, Taiga, Steppen, Pferde und Wind, Zobel, Kaviar und Millionen von Menschen, die Russisch sprechen.

Und der Baikalsee? Nun ja. Da ich an der Ostsee aufwuchs, war das für mich nur ein Meer, das die Schönheit der Natur verkörpert. In diesem Moment wusste ich noch nicht, dass ich nur wenige Augenblicke von unerwarteten Eindrücken entfernt war, die tiefgreifende Auswirkungen auf meine Kinderseele haben würden. Ich wusste noch nicht, dass ich mich überwältigt fühlen würde von der wilden Natur Sibiriens und vor allem von dem geheimnisvollen Baikalsee.

(Foto: R. Markova)Reicher See

Baikal ist mit 25 Millionen Jahren der älteste, größte und mit 1624 Metern der tiefste Süßwassersee der Erde. "Baj-kul" ist eine burjatische Bezeichnung und bedeutet so viel wie "Reicher See". Er enthält ein Fünftel der Süßwasserreserven der Welt und es dauert mehrere hundert Jahre, bis sich das gesamte Wasser des Sees einmal ausgetauscht hat. So viele Tage wie das Jahr hat, so viele Zuflüsse hat der Baikal, aber nur einen Abfluss - den Angar. Dadurch ist der Wasseraustausch gering und die Gefahr von Schadstoffanreicherungen sehr hoch. Der Baikalsee ist 640 Kilometer lang. Die Breite schwankt zwischen zwanzig und achtzig Kilometern. Die Wassermenge des Sees ist doppelt so groß wie das Volumen des Baltischen Meeres. Von November bis etwa Anfang Mai ist der See zugefroren, die Eisschicht ist so dick, dass LKWs darauf fahren können. Die Natur des Baikals und die Umgebung ist weltweit einzigartig. Von den dort lebenden 2.500 Tierarten kommen nur ungefähr zwei Drittel im oder um den Baikal vor. Gleiches trifft auf die Pflanzenwelt zu.

Wir machten einen Ausflug zu der größten der zwanzig Inseln des Sees - Olchon. Zwei Tage lang. Es war eine lange Schiffsreise. Was mich faszinierte war, dass man zu Beginn der Fahrt tatsächlich den Boden des Sees sehen konnte. Ich hatte das Gefühl, als ob ich mich in einem Wasserglas oder einem Aquarium befände und ich nur meine Hand auszustrecken brauchte, um die Wasserpflanzen, die mir so nahe schienen, zu pflücken. Oder den Stein, der auf dem Boden des Sees lag, zu heben, vielleicht einen vorbei schwimmenden Fisch zu fangen. In Wirklichkeit betrug die Entfernung zwischen mir und meinen Fangobjekten 35 bis 40 Meter. Es war eine irreale Situation. Das Wasser wirkte so dünn und leicht, wie durchsichtiger Seidenstoff, der der Welt da unten übergeworfen wurde, um die Geheimnisse des Meeres zu schützen.

Teil II der Reportage über das Sterben des Baikalsees >>.